Hallo liebe Leute ! Nachfolgend möchte ich Euch von einer Fahrradtour mit meinem Bruder Achim und seinem Freund Michael berichten, die zwar schon ein paar Jährchen zurückliegt (damals gab es noch kein Internet, so wie wir es heute kennen), mir aber besonders gut gefallen hat ! Der Text stammt hauptsächlich von einem Artikel für die Zeitung, die ihn dann aber doch nicht abgedruckt hat --- natürlich ein großer Fehler ! ;-)

Ein etwas anderer Urlaub - Fahrradtour Sommer 1989

Am Abend des 23. Juni 1989 begann auf dem Hauptbahnhof Gelsenkirchen nach längerer Vorbereitungszeit für Achim (18, Schüler), Kai (26, Student) und Michael (18, Schüler) der Urlaub: eine Fahrradtour durch Südfrankreich und die Alpen.

Mit dem Schweiz-Express D203 fuhren wir nach Basel - die Fahrräder im Gepäckwagen. Gegen 6 Uhr morgens erreichten wir den Badischen Bahnhof in Basel. Nach einer einstündigen Irrfahrt erreichten wir endlich die ländlichen Gefilde des Schweizer Jura. Vom Tatendurst und unserem zu hoch angesetzten Kilometersoll getrieben, ging es südwestwärts über Delemont Richtung Frankreich.

Ein Freund hatte uns erzählt, daß die Geschäfte in Frankreich sonntags bis 12 Uhr geöffnet haben und dafür montags geschlossen sind. Im Glauben daran suchten wir in Pontarlier verzweifelt, bis wir kurz vor Mittag ein geöffnetes Lebensmittelgeschäft fanden, um unsere Vorräte aufzufüllen. Vor dem Verdursten bewahrt konnte es nun über Oyonnax und nördlich an Lyon vorbei zum Massiv Central gehen.

Auf dem Weg zum Col du Beal fuhren wir durch das idyllische Dörfchen Chalmazel, wo gerade Markt war. Zu unserem Erstaunen wurde hier auch Kleinvieh angeboten. Eine größere Überraschung erlebten wir allerdings in der Post. Als wir vom Postsparbuch Geld abheben wollten, erklärten uns die Beamtinnen, daß das in Frankreich nicht möglich sei. So reichten die letzten Francs gerade noch für etwas Trinkbares.

Ohne weitere Probleme erreichten wir dann den Col du Beal. Obwohl nur knapp 1400m hoch, war es empfindlich kühl. So machten wir nur kurze Rast und fuhren dann mit dem Mistral im Rücken nach Süden. Durch herrliche Landschaften und sengende Hitze fuhren wir über Ambert (wo wir in der dortigen Post dann Geld vom Sparbuch abheben konnten) nach Le Puy. Hinter dem Ort schlugen wir das Zelt wegen der hereinbrechenden Dunkelheit in unmittelbarer Nähe der Hauptstraße auf. Erst am nächsten Morgen bemerkten wir, daß wir nur 100m von einer Müllkippe entfernt übernachtet hatten . . .

Auffallend an den französischen Straßen war nicht nur der für unsere Rennräder äußerst ungesunde Belag, sondern auch die häufigen Wahlsprüche zur Europawahl, die einfach auf die Straße gepinselt waren - in Deutschland ein Ding der Unmöglichkeit. Ebenso war für uns ungewohnt, daß in praktisch jedem Dorf ein Gedenkstein zu Ehren der in den Weltkriegen gefallenen Soldaten zu finden ist.

Vorbei an Spuren von Waldbränden bei Portes sowie über Ales und Uzes erreichten wir einen Tag später den Pont du Gard. Dieser wurde vor 2000 Jahren von den Römern als Teil einer Wasserleitung erbaut, um Nimes mit Wasser zu versorgen. Der Äquadukt hat eine Höhe von fast 50m und eine Länge von 275m. Nach sieben Tagen und 900km nutzten wir die Möglichkeit, im klaren Wasser des Gardons ein Bad zu nehmen.

Nach einer ausgiebigen Mittagspause erreichten wir noch am selben Tag die Jugendherberge in Pioch Badet im Herzen der Camargue. Das circa 700km2 große Gebiet besteht im wesentlichen aus Schwemmland und wird von der Grand und Petit Rhone begrenzt. Bevor es die Römer kahlschlugen, war es zu großen Teilen bewaldet. Heute ist die Camargue bis auf wenige Flächen trockengelegt und bewirtschaftet. Zum Glück ist ein circa 136km2 großer Naturschutzpark im zentralen Teil geschaffen worden, wo die verschiedenen Reiherarten und vor allem die Flamingos - die Charaktervögel der Camargue - ganzjährig anzutreffen sind. Unbedingt sehenswürdig ist ein ornithologischer Park, in dem die meisten Vogelarten der Camargue aus der Nähe beobachtet werden können.

Nach einem Ruhetag fuhren wir nun nach Nordosten über Arles und an der Bergkette der Alpilles vorbei über Carpentras zum Mont Ventoux, der ersten ernsteren Bergprüfung. Dieses auch von der Tour de France befahrene, 1909m hohe Bergmassiv gilt unter Radsportlern als ein unbedingtes Muß, dem auch wir uns nicht entziehen konnten. ;-) Der Südhang weist eine mittelmeerische Vegetation auf, während der steilere Nordhang eine alpenähnliche Struktur und Flora hat.

Nachdem wir am Fuße des Massivs übernachtet hatten, mußten wir am folgenden Tag mit unseren letzten 5 Litern Wasservorrat auskommen. Denn bei der Auffahrt am Vorabend waren wir unwissentlich an der einzigen Quelle vorbeigefahren. Zu unserem Unglück verfuhren wir uns noch bei der Abfahrt (wir waren so schnell, daß wir alle drei den Abzweig verpaßten; an einer Stelle mit einer leichten Kurve kamen mir, Kai, zwei Radfahrer entgegen, die ich um ein Haar umgefahren hätte, weil ich so schnell war, daß ich praktisch nicht mehr lenken konnte . . . ;-) ), so daß wir eine längere als geplante Strecke zurücklegen mußten und ordentlich entwässert waren, als wir endlich unseren Durst löschen konnten!

Das nächste Ziel war der Grand Canyon du Verdon, die wohl gewaltigste und schönste Schlucht Europas. Die Schluchtwände ragen je nach Geländeebene 250m bis 700m auf; der Grund des Canyons ist 15m bis 100m breit. Neben dem imposanten und unvergeßlichen Anblick lag auch noch ein weiterer Paß, der Col d'Illoire, "am Weg" (zumindest, wenn man die Straße südlich des Canyons fährt).

Vier Tage, nachdem wir die Jugendherberge in Pioch Badet verlassen hatten, erreichten wir die Jugendherberge in Frejus. Von hier aus machten wir am folgenden Tag einen Ausflug nach Saint Tropez. An der stark befahrenen Küstenstraße fiel neben der landschaftlich sehr schönen Lage vor allem der katastrophale Zustand des Straßenbelags auf. Saint Tropez selbst hat 7000 Einwohner und liegt am Südufer des 8km tief eingezogenen Golf gleichen Namens, der einer der schönsten der Cote d'Azur ist. Auch wir wollten einmal "da gewesen sein", doch empfanden wir das Städtchen einfach als von Touristen überlaufen.

Am nächsten Tag ging es an der Cote d'Azur entlang durch Cannes und Antibes bis St. Laurent du Var, kurz vor Nizza gelegen, dann bogen wir nach Norden ab auf die Route National 202 am Flüßchen Var entlang.

Von Meereshöhe fuhren wir an diesem Tag noch bis auf 400m üdM. Durch Zufall entdeckten wir bei einer Rast einen "Minisee"nur wenig abseits der Straße, der durch einen kleinen Wasserfall gespeist wurde. Gerne nahmen wir ein Bad im angenehm frischen Wasser.

Unsere tägliche Ernährung bestand im wesentlichen aus zwei Hauptmahlzeiten morgens und abends, sowie zahlreichen Stärkungen zwischendurch. Das Frühstück : Kekse, Kuchen, Wasser. Während des Tages wurde dies ergänzt durch Vanillepudding, Eis, Obst, Joghurt, Müsli, Baguette, Schokolade und Traubenzucker. Abends gönnten wir uns als Hauptgericht öfter eine Tütensuppe, die durch Kohlenhydrate in Form von Nudeln angereichert wurde. Als Nachspeise wurden wahlweise Kekse, Schokolade, Müsliriegel, Kuchen oder übriggebliebenes Baguette vom Tage gereicht. ;-)

Nun begann der anstrengendere und sportlich gesehen interessantere Teil unserer Radtour! Der folgende Tag sollte der kräfteraubendste der gesamten Fahrt werden: 2400 Höhenmeter auf 32km Wegstrecke waren zu bezwingen. Nach acht Stunden größter körperlicher Anstrengung war schließlich der mit 2802m höchste Paß der Alpen, der Col de la Bonette, "gefallen". Gleichzeitig waren wir auf der Auffahrt noch zwei weitere Pässe gefahren, auf der Abfahrt in Richtung Jausiers kam dann noch der Col de Restefond hinzu.

Profil Col de la Bonette
Profil des höchsten Passes der Alpen - des Col de la Bonette

Nun waren wir nicht mehr aufzuhalten! Am nächsten Tag erklommen wir bei strahlendem Sonnenschein den Col de Vars, 2111m (wobei wir die 15km Wegstrecke und den Höhenunterschied von 900m in 1h40min zurücklegten), am darauf folgenden Tag den auch bei der Tour de France zu fahrenden Col d'Izoard, 2360m. Danach bezwangen wir an einem Tag den Col du Lautaret, 2057m, den Col du Galibier, 2642m, und den Col du Telegraphe, 1570m.

Profil Col du Galibier
Profil des Col du Galibier

Nach einem Ruhetag folgte der mit 2770m zweithöchste Alpenpaß, der Col de l'Iseran. Auffallend im oberen Abschnitt war vor allem die Verschandelung der Berglandschaft durch die vielen Skilifte - einfach nur sehr, sehr traurig! :-(

Zur Regenerierung der Beinmuskulatur sollten nun wieder niedrigere Pässe folgen: der Kleine St. Bernhard-Paß, 2188m, und der Col du Grand St. Bernard, 2469m. --- Selbstverständlich wählten wir den Weg über die Paßhöhe und nicht durch den Tunnel ! ;-) --- Hier genossen wir nicht nur die Bergwelt, sondern auch den Anblick einer Oldtimer-Rallye, bevor wir nach Martigny abfuhren. Hier wollten wir uns seit den letzten Pässen wieder einmal eine Nacht in einer Jugendherberge gönnen. Nach einstündigem Suchen entdeckten wir die Jugendherberge endlich: sie war in einem Atombomben-sicheren Bunker unter der Feuerwache untergebracht . . .

Am 16. Juli fuhren wir das Rhone-Tal aufwärts bis Visp und dann noch 1000m höher bis Zermatt, 1616m. Da die Jugenherberge belegt war, mußten wir noch einmal auf den Campingplatz ausweichen. Am nächsten Morgen konnten wir dann bei herrlichem Wetter den Ausblick auf das Matterhorn und die anderen umliegenden Gipfel genießen.

In Zermatt war der Endpunkt unserer gemeinsamen Radtour. In dreieinhalb ereignisreichen, anstrengenden und vor allem aber sehr schönen Wochen waren wir auf einer Strecke von 2500km über 20 Pässe und durch vier Länder gefahren.

Achim und Michael fuhren nun in zwei Tagen über den Grimselpaß nach Basel und von dort aus wieder mit dem Zug zurück. Ich war dagegen noch eine Woche länger unterwegs, die mich über den Furkapaß, 2000m, und den Oberalppaß, 2000m, nach Thusis brachte, und weiter über den Albulapaß nach St. Moritz. Von hier aus ging es am Silvaplana- und Silser See vorbei und den Malojapaß hinunter in Richtung Lugano, wo ich in Figino in der Jugendherberge zweimal übernachtete, bevor ich mich auf den Weg zum Val di Gressoney in Italien aufmachte, wo ich zwei Freunde zum Bergsteigen treffen wollte.

Von einem kleinen Erlebnis möchte ich noch kurz berichten : von Lugano machte ich einen Abstecher nach Locarno. Es war sonntags und auf der Strecke, die ich mir ausgesucht hatte, wurde ein Radrennen veranstaltet - was ich aber nicht wußte. Da ich eher kleine Straßen fuhr, fand ich es auch nicht groß verwunderlich, daß überhaupt kein Auto zu sehen war . . . So fuhr ich ein paar Serpentinen hinunter, als ich von einem Polizei-Motorrad überholt wurde. Kurz darauf erschien ein kleiner Ort und etliche Leute standen erwartungsvoll am Straßenrand und fingen aufmunternd an zu klatschen, als ich nun erschien. :-) Im ersten Moment wußte ich überhaupt nicht, was ich davon halten sollte ! Im nächsten Moment überholte mich dann aber die Führungsgruppe - und da war mir mit einem Mal klar, daß die Leute am Straßenrand mich im ersten Augenblick für den führenden Fahrer gehalten hatten . . . :-)

Hier gibt es noch ein paar Fotos von der Fahrradtour zu sehen . . .


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Kai Schröder, 29.11.2000